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AbstractDiagnostische Zielsetzung: Mit den Skalen Impulskontrolle, Überwinden von Widerständen, Ablenkungen Widerstehen (IK-ÜW-AW) sollen verschiedene Formen wahrgenommener Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit abgebildet werden. Die Skalen eignen sich zum Einsatz in der arbeitspsychologischen Forschung, z.B. in Studien zum Erleben von berufsbezogenen Belastungen und deren Effekten. Aufbau: Der Fragebogen liegt im Paper-and-Pencil-Format vor und kann im Rahmen von Gruppen- oder Einzeluntersuchungen bearbeitet werden. Er umfasst 15 Aussagen, die sich auf wahrgenommene Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit beziehen. Auf einer fünfstufigen Ratingskala (1 = trifft gar nicht zu; 2 = trifft wenig zu; 3 = teils/teils; 4 = trifft überwiegend zu; 5 = trifft völlig zu) sind
diese Aussagen mit Blick auf die eigene Arbeitstätigkeit zu beurteilen. Die Items gehören zu drei Skalen, die sich nach Neubach und Schmidt (2007, S. 41) wie folgt charakterisieren lassen:
(1) Impulskontrolle: Kontrolle spontaner, habitueller Reaktionstendenzen und hiermit assoziierter Emotionen, z. B. Kontrolle von Zuständen der Gereiztheit oder Ungeduld sowie unbedachten, affektgeleiteten sprachlichen Äußerungen (k = 6, z.B. "Auch wenn ich manchmal sehr gereizt bin, darf ich mir das auf keinen Fall anmerken lassen.").
(2) Überwinden von Widerständen: Überwinden innerer Widerstände, wie sie z. B. aus mangelnder Motivation, mangelnder Attraktivität der Aufgabe, inneren Blockaden oder Hemmungen resultieren (k = 5, z.B. "Einige meiner Arbeitsaufgaben sind so, dass ich mich richtig zwingen muss, sie zu erledigen.").
(3) Ablenkungen Widerstehen: Widerstehen von Ablenkungen, z.B. durch Ausblendung aufgabenirrelevanter Reize und Steuerung der Aufmerksamkeit (k = 4, z.B. "Wenn ich meine Arbeit erfolgreich bewältigen will, darf ich irgendwelchen Ablenkungen nicht nachgeben.").
Als Skalenwert fungiert das arithmetische Mittel aller Items der Skala; Umpolungen einzelner Items sind nicht erforderlich. Hohe Skalenwerte sprechen für eine hohe Ausprägung der jeweiligen Selbstkontrollanforderung.
Grundlagen und Konstruktion: Der Fragebogen stützt sich auf das Modell der Selbstkontrolle von Muraven und Baumeister (2000), das von der Annahme ausgeht, dass verschiedene Formen der Selbstkontrolle auf eine gemeinsame, kapazitätsbegrenzte "Willensressource" zurückgreifen. Diese Ressource kann durch intensive und häufige Inanspruchnahme erschöpft werden ("ego depletion"), so dass für nachfolgende Kontrollprozesse weniger Kapazität zur Verfügung steht. Hohe Selbstkontrollanforderungen am Arbeitsplatz stellen daher eine bedeutsame Belastungsquelle dar: Sie resultieren kurzfristig in einem verstärkten aktuellen Beanspruchungserleben und können
langfristig nachteilige Folgen auf psychische Beanspruchungsindikatoren (z.B. Aspekte des Burnout, Depressivität) nach sich ziehen.
Mit den Skalen "Impulskontrolle", "Überwinden innerer Widerstände" und "Ablenkungen Widerstehen" sollte ein breites Spektrum an Selbstkontrollanforderungen abgebildet werden. Ihre Konstruktion basiert auf Prinzipien der Klassischen Testtheorie (Neubach & Schmidt, 2007). Vier Items wurden der Skala "Geforderte Selbstkontrolle" von Neubach und Schmidt (2006) entnommen. 11 weitere Items wurden neu formuliert. Der insgesamt k = 15 Items umfassende Itempool wurde einer Stichprobe von N = 622 Mitarbeitern aus verschiedenen Ämtern einer Landesverwaltung vorgegeben; die Beantwortung erfolgte auf einer fünfstufigen Ratingskala (1 = trifft gar nicht zu bis 5 = trifft völlig zu). Eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation erbrachte eine dreifaktorielle Lösung mit guter Einfachstruktur, die 70 % der Gesamtvarianz aufklärte. Alle Items wiesen auf dem Faktor, dem sie jeweils a priori zugeordnet
waren, Ladungen von a > .70 auf (Neubach & Schmidt, 2007).
Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden die drei Skalen "Impulskontrolle" (IK), "Überwinden von Widerständen" (ÜW) und "Ablenkungen Widerstehen" (AW) konstruiert. Die part-whole-korrigierten Itemtrennschärfen liegen im Bereich von .63 < = rit-i < = .77 (IK), .67 < = rit-i < = .80 (ÜW) und .67 < = rit-i < = .74 (AW) und sind damit durchweg als hoch anzusehen. Die statistisch bedeutsamen, jedoch lediglich niedrigen bis moderaten Skaleninterkorrelationen von .23 < = r < = .44 rechtfertigen die Beibehaltung dreier eigenständiger Subskalen.
Empirische Prüfung und Gütekriterien: Die Skalen wurden zusammen mit weiteren Verfahren in einer Reihe von Studien an Angehörigen unterschiedlicher Berufsgruppen (Bedienstete von Kommunal- und Landesverwaltungen, Altenpflegekräfte) eingesetzt.
Reliabilität: Die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha a) der Skalen ist vor allem angesichts ihrer Kürze als sehr hoch anzusehen. Neubach und Schmidt (2007) ermittelten an N = 622 Verwaltungsbediensteten Werte von a = .89 für IK, a = .90 für ÜW und a = .87 für AW. In einer Follow-up-Untersuchung nach 24 Monaten ergaben sich an N = 341 Personen aus dieser Stichprobe Werte von a = .89, a = .91 bzw. a = .88 (Schmidt & Neubach, 2010). Weitere Untersuchungen erbrachten Koeffizienten in vergleichbarer Höhe (Diestel & Schmidt, 2010; Schmidt & Neubach, 2010). Die Testwiederholungsreliabilität über 6 Monate (n = 48) bzw. 24 Monate (n = 255) betrug für Impulskontrolle rtt = .57 bzw. rtt = .64, für Überwinden von Widerständen rtt = .68 bzw. rtt = .66 und für Ablenkungen Widerstehen rtt = .59 bzw. rtt = .57 (Schmidt & Neubach, 2010).
Validität: Eine Prüfung der strukturellen Validität mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen ergab, dass ein Dreifaktorenmodell mit korrelierten Faktoren die Daten adäquat abbildete (Root Mean Square Error of Approximation RMSEA = .08, Comparative Fit Index CFI = .96, Adjusted Goodness of Fit Index AGFI = .82) und zudem eine deutlich bessere Modellanpassung aufwies als ein Modell mit drei orthogonalen Faktoren und ein Einfaktorenmodell (Schmidt & Neubach, 2010).
Für die ökologische Validität und Sensitivität der Skala spricht, dass Altenpflegekräfte höhere Anforderungen an die Impulskontrolle berichteten als Mitarbeiter von Landes- und Kommunalverwaltungen (Neubach & Schmidt, 2007).
Mit Blick auf die konvergente Validität fanden Neubach und Schmidt (2007) erwartungskonforme Zusammenhänge zwischen allen drei Skalen und dem Ausmaß qualitativer und quantitativer Arbeitsbelastungen, Ambiguitätsfacetten der Arbeit (z.B. Unklarheit über Arbeitsabläufe) und entlastenden Tätigkeitsmerkmalen (z.B. Kontrolle über die zeitlichen Abläufe der Arbeit); diese fielen für die Skala "Impulskontrolle" eher gering (r < =.25), für "Ablenkungen Widerstehen" und "Überwinden innerer Widerstände" moderat bis hoch (max. r = .55) aus.
Die konvergente Validität wird auch durch positive Korrelationen in mittlerer Höhe mit zahlreichen Maßen erlebter psychischer Beanspruchung belegt (Neubach & Schmidt, 2007; Schmidt & Neubach, 2010), z.B. mit den Skalen "Emotionale Erschöpfung" und "Depersonalisation" aus dem Maslach Burnout Inventory (Büssing & Perrar, 1992), einer vereinfachten Fassung des Beck Depressionsinventars (Schmitt et al., 2003) und der Skala "Zustandsangst" aus dem State-Trait-Angstinventar (Laux, Glanzmann, Schaffner & Spielberger, 1981). Ferner zeigten sich - wenngleich etwas niedrigere - Korrelationen mit einem Indikator physischer Beanspruchung (selbstberichtete muskuloskelettale Beschwerden). Entsprechende Zusammenhänge waren auch bei längsschnittlicher Betrachtung über 6 bzw. 24 Monate nachweisbar und fielen kaum weniger eng aus als bei querschnittlicher Analyse (Schmidt & Neubach, 2010). Schrittweise
multiple Regressionsanalysen ergaben, dass die Skalen "Impulskontrolle" und "Überwinden innerer Widerstände" über soziodemografische Maße (Alter, Geschlecht) und den Grad der Arbeitsbelastungen hinaus zur Vorhersage des Belastungserlebens beitrugen (Neubach & Schmidt, 2007).
Schmidt und Neubach (2010) ermittelten darüber hinaus eine höhere Anzahl beruflicher Fehltage und häufigere Fehlzeiten bei Personen mit hohen Werten auf den Selbstkontrollskalen "Widerstände Überwinden" und "Ablenkungen Widerstehen". In mehreren Studien konnte zudem die Annahme belegt werden, dass wahrgenommene Selbstkontrollanforderungen gemeinsam mit weiteren berufsbezogenen Belastungsfaktoren (z.B. "Emotionale Dissonanz" als eine Facette von "Emotionsarbeit") auf Maße der subjektiven Belastung und Fehlzeiten wirken und sich dabei wechselseitig verstärken (Diestel & Schmidt, 2010, 2011). Eine vergleichbare Wechselwirkung fand sich zwischen Selbstkontrollanforderungen und dem Stressor "Inkongruenz zwischen persönlichen Zielen und wahrgenommenen Zielen der Organisation" (Schmidt, 2010).
Normen: Eine Normierung wurde bislang nicht vorgenommen. Vergleichswerte (Mittelwerte und Standardabweichungen) können den vorliegenden Publikationen entnommen werden (z.B. Neubach & Schmidt, 2007; Schmidt & Neubach, 2010).
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Literatur- Büssing, A. & Perrar, K.M. (1992). Die Messung von Burnout. Untersuchung einer deutschen Fassung des Maslach Burnout Inventory (MBI-D). Diagnostica, 38 (4), 328-353.
- Diestel, S. & Schmidt, K.-H. (2010). Interactive effects of emotional dissonance and self-control demands on burnout, anxiety, and absenteeism. Journal of Vocational Behavior, 77, 412-424.
- Diestel, S. & Schmidt, K.-H. (2011). Costs of simultaneous coping with emotional dissonance and self-control demands at work: results from two German samples. Journal of Applied Psychology, 96 (3), 643-653.
- Laux, L., Glanzmann, P., Schaffner, P. & Spielberger, C.D. (1981). Das State-Trait-Angstinventar. Weinheim: Beltz.
- Muraven, M. & Baumeister, R. F. (2000). Self-regulation and depletion of limited resources: does self-control
resemble a muscle? Psychological Bulletin, 126 (2), 247-259.
- Neubach, B. & Schmidt, K.-H. (2006). Beanspruchungswirkungen von Selbstkontrollanforderungen und Kontrollmöglichkeiten bei der Arbeit. Zeitschrift für Psychologie, 214, 150-160.
- Neubach, B. & Schmidt, K.H. (2007). Entwicklung und Validierung von Skalen zur Erfassung verschiedener Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 61 (1), 35-45.
- Schmidt, K.-H. (2010). The relation of goal incongruence and self-control demands to indicators of job strain among elderly care nursing staff: a cross-sectional survey study combined with longitudinally assessed absence measures. International Journal of Nursing Studies, 47, 855-863.
- Schmidt, K.-H. & Neubach, B. (2010). Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit. Fragebogen zur Erfassung eines bislang wenig beachteten
Belastungsfaktors. Diagnostica, 56 (3), 133-143.
- Schmitt, M., Beckmann, M., Dusi, D., Maes, J., Schiller, A. & Schonauer, K. (2003). Messgüte des vereinfachten Beck-Depressions-Inventars (BDI-V). Diagnostica, 49 (4), 147-156.
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