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AbstractDiagnostische Zielsetzung: Der Selbstbeurteilungsfragebogen JAS zielt auf eine Differenzierung unterschiedlicher Qualitäten arbeitsplatzbezogener Ängste ab. Das Instrument kann in klinischen wie auch in nicht-klinischen Stichproben, in der Forschung wie der Patientenversorgung eingesetzt werden. Die Skala kann sowohl zur Zustandsdiagnostik als auch zur Verlaufsbeurteilung und Prognoseabschätzung verwendet werden. Sie kann ferner als Ausgangspunkt für eine Therapiezielfindung oder für die Zuweisung zu speziellen arbeitsbezogenen Therapieinterventionen dienen. Die Skala ist ein dimensionales Messinstrument und ist daher nicht geeignet, um klinisch valide Diagnosen von Angsterkrankungen zu stellen (Linden & Muschalla, 2012). Aufbau: Der Fragebogen liegt im
Paper-and-Pencil-Format vor. Er umfasst 70 Items, in denen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen mit Blick auf die Arbeitssituation beschrieben werden. Auf einer fünfstufigen Skala (0 = "trifft gar nicht zu" bis 4 = "trifft voll zu") sind diese Aussagen hinsichtlich ihres Zutreffens zu beurteilen. Dabei soll die aktuelle oder - falls die Person derzeit nicht in einem Arbeitsverhältnis steht - die letzte Arbeitssituation als Bezug genommen werden.
Die Items werden durch Bildung des arithmetischen Mittels ihrer Rohwerte zu 14 Subskalen aggregiert, die wiederum zu fünf übergeordneten Dimensionen und über alle Dimensionen hinweg zu einem Gesamtwert (Mittel über alle k = 70 Items) zusammengefasst werden können (Muschalla & Linden, 2012):
(1) Stimulus bezogene Ängste und Vermeidungsverhalten (k = 17)
- Antizipatorische Ängste (k = 5; Items 2, 5, 6, 19, 48; z.B. "Bei der Vorstellung, an diesem Arbeitsplatz einen kompletten Arbeitstag durchstehen zu müssen, bekomme ich Panikgefühle.")
- Phobische Vermeidung (k = 6; Items 10, 22, 23, 30, 33; z.B. "Wenn irgend möglich, meide ich es, mich in die Nähe meiner Arbeitsstelle zu begeben.")
- Konditionierte Angst (k = 4, Items 9, 36, 41, 65; z.B. "Ich habe am Arbeitsplatz einmal ein schreckliches Erlebnis gehabt, das in meinen Gedanken gegenwärtig bleibt und mich beunruhigt.")
- Globale Arbeitsplatzangst (k = 2, Items 62, 63; z.B. "Ich erlebe starke Befindlichkeitsstörungen oder Unbehagen, wenn ich an meinem Arbeitsplatz bin.")
(2) Soziale Ängste und Beeinträchtigungskognitionen (k = 19)
- Ausbeutungsängste (k = 5, Items 15, 24, 27, 39, 40; z.B. "Meine Kollegen nutzen mich aus.")
- Soziale Ängste (k = 9, Items 25, 26, 31, 38, 42, 44, 46, 47, 62; z.B. "Ich fühle mich unsicher, wenn ich bei meiner Arbeit beobachtet werde.")
- Bedrohungs- und Beeinträchtigungsüberzeugungen (k = 5, Items 49, 51, 52, 54, 56; z.B. "Mein Vorgesetzter schikaniert mich.")
(3) Gesundheits- und körperbezogene Ängste (k = 10)
- Hypochondrische Tendenzen (k = 5, Items 1, 21, 29, 50, 66; z.B. "Wenn ich noch lange an diesem Arbeitsplatz bin, werde ich gesundheitliche Schäden davontragen.")
- Panik und körperliche Symptome (k = 3, Items 7, 32, 34; z.B. "In bestimmten Situationen am Arbeitspatz bekomme ich Panikgefühle.")
- Funktionsbezogene Ängste (k = 2, Items 3, 58; z.B. "Ich habe nachgewiesene gesundheitliche Einschränkungen, die meine Leistungsfähigkeit bei der Arbeit beeinträchtigen.")
(4) Insuffizienzerleben (k = 14)
- Allgemeine Insuffizienzgedanken (k = 9, Items 8, 11, 12, 17, 18, 37, 43, 59, 60; z.B. "Ich bin für neue Arbeiten nicht genügend qualifiziert.")
- Veränderungsängste (k = 5, Items 4, 13, 16, 45, 55; z.B. "Ich leide darunter, dass man bei der Arbeit nie weiß, was als nächstes kommt.")
(5) Arbeitsplatzbezogene generalisierte Sorgen (k = 10)
- Arbeitsplatzbezogene Sorgen (k = 5, Items 14, 20, 57, 67, 68; z.B. "Ich leide darunter, dass ich die Sorgen um meine Arbeit nicht abstellen kann.")
- Existenzangst (k = 5, Items 35, 53, 61, 69, 70; z.B. "Wenn man heute arbeitslos ist oder wird, findet man sowieso nie wieder einen Job!")
Aus den Items der Subskalen Antizipatorische Angst, Phobische Vermeidung und Globale Arbeitsplatzangst wurde darüber hinaus die "Arbeitsplatzphobieskala" (Muschalla & Linden, 2008; PSYNDEX Tests-Nr. 9006210) zusammengestellt. Die k = 13 Items erfassen im Sinne eines Screening-Verfahrens die Symptome einer Arbeitsplatzphobie.
Grundlagen und Konstruktion: Bei Patienten mit langer Arbeitsunfähigkeit ist dies nicht immer mit körperlichen oder allgemeinen psychischen Erkrankungen zu erklären, sondern durch spezifische arbeitsplatzbezogene Insuffizienzgefühle oder Ängste, die bis zu einer Arbeitsplatzphobie gehen können (Linden & Muschalla, 2007b; Linden, Muschalla & Olbrich, 2008; Muschalla, Olbrich & Linden, 2008). Analog zu den allgemeinen Differenzierungen verschiedener Angstqualitäten in den internationalen Diagnosesystemen DSM-IV und ICD-10 können auch mit
Bezug auf die Arbeitssituation unterschiedliche Angstqualitäten identifiziert werden. Beispielsweise finden sich Ängste als Belastungsreaktion auf ein als traumatisch erlebtes Ereignis (z.B. Überfall am Arbeitsplatz, Arbeitsunfall o.ä.), als hypochondrische Ängste, als Paniksymptomatik, als soziale Ängste (z.B. mit Blick auf Kollegen oder Vorgesetzte) oder als generalisierte Ängste und Besorgnis mit Blick auf die Arbeitssituation. Arbeitsplatzbezogene Ängste sind kontextgebunden und treten nicht zwangsläufig außerhalb des Arbeitsplatzes auf (Linden & Muschalla, 2007a).
Die JAS wurde entwickelt, um derartige kontextspezifische Ängste differenziert und zugleich dimensional erfassen zu können. Das Instrument ermöglicht, Personen hinsichtlich der Ausprägung verschiedener Facetten arbeitsplatzbezogener Ängste zu beschreiben und miteinander zu vergleichen. Die psychometrische Konstruktion des Fragebogens erfolgte auf der Grundlage klinischer Differentialdiagnostik nach den Prinzipien der Klassischen Testtheorie. Auf der Basis von Patientenberichten über Arbeitsplatzängste, von diagnostischen Kriterien für Angsterkrankungen und von allgemeinen Angstfragebögen wurde eine Vorform mit 106 Items erstellt (Muschalla, 2005). Aufgrund der Ergebnisse einer Pilotuntersuchung wurde das Instrument wesentlich überarbeitet und die Itemzahl auf k = 70 reduziert.
Die psychometrische Qualität der revidierten JAS wurde an N = 190 Patienten einer orthopädischen (n = 100) und psychosomatischen (n = 90) Rehabilitationsklinik mit einem mittleren Alter von 48.7 Jahren geprüft (SD = 8.6 Jahre), davon 72 % Frauen. Die Patienten wurden zu Beginn ihres stationären Aufenthalts mit dem Instrument befragt; eine Woche später erfolgte eine Wiederholungsmessung zur Bestimmung der Retest-Reliabilität.
Zu den Itemgütekriterien berichten Linden und Muschalla (2012) zusammenfassend für nahezu alle Items eine hohe Trennschärfe bezüglich der Gesamtskala. Die durchschnittliche Inter-Item-Korrelation der Gesamtskala wird mit r = .39 angegeben. Die 14 Subskalen erwiesen sich durchweg als bedeutsam miteinander korreliert (.36 < = r < = .88). Existenzängste und Funktionsbezogene Ängste korrelierten vergleichsweise niedrig mit den anderen Subskalen, während z.B. Soziale Ängste und Beeinträchtigungskognitionen mit einer hohen generellen Arbeitsplatzangst zusammenhingen.
Empirische Prüfung und Gütekriterien: Reliabilität: Als Schätzung der internen Konsistenz der Gesamtskala ergab sich in der Gesamtstichprobe (N = 190) ein Wert von Cronbachs Alpha = .98 (Linden et al., 2008). Die internen Konsistenzen der fünf übergeordneten Dimensionen lagen zwischen Alpha =
.87 und Alpha = .95. Vergleichbar hohe Werte fanden sich in den beiden Teilstichproben der Orthopädie- und Psychosomatikpatienten (Alpha > = .83 für die Dimensionsskalen, Alpha = .97 bzw. Alpha = .98 für die Gesamtskala). Die internen Konsistenzen der 14 Subskalen werden nicht mitgeteilt. Die Retest-Reliabilität der JAS wurde über die einzelnen Items geschätzt und betrug bei einem Test-Retest-Intervall von einer Woche (n = 185) im Mittel rtt = .82, wobei die Retest-Korrelationen zwischen rtt = .58 und rtt = .93 variierten.
Validität: Die faktorielle Struktur des Fragebogens wurde sowohl für die JAS-Gesamtskala wie auch getrennt für die fünf Dimensionen untersucht. Eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation über alle k = 70 Items der Gesamtskala ergab in der Anfangslösung einen hohen Generalfaktor mit einer Varianzaufklärung von 41 %. In der Fünffaktorenlösung (Varianzaufklärung: 57.6 %) bildeten die extrahierten Faktoren im Wesentlichen die postulierten Dimensionen des Verfahrens ab, wenngleich zahlreiche Items Mehrfachladungen aufwiesen bzw. ihre höchste Ladung auf einem anderen als dem erwarteten Faktor zeigten (Linden et al., 2008). Eine Faktorenanalyse zweiter Ordnung über die fünf Dimensionswerte ergab einen Generalfaktor, durch den 79 % der Varianz aufgeklärt wurden. Schließlich zeigten fünf separate Hauptkomponentenanalysen für die einzelnen Dimensionen, dass die Subskalen sich innerhalb ihrer
Hauptdimension relativ gut differenzieren lassen (Linden & Muschalla, 2012): Die Ladungsmuster für die Items der beiden Dimensionen "Gesundheits- und körperbezogene Ängste" sowie "Arbeitsplatzbezogene Sorgen" entsprachen exakt den Erwartungen. Bei der Dimension "Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten" luden 14 von 17 Items auf den postulierten Faktoren, bei der Dimension "Soziale Ängste und Beeinträchtigungskognitionen" waren es 14 von 19 Items. Lediglich innerhalb der Dimension "Insuffizienzerleben" zeigten sich deutliche Abweichungen der Itemzuordnungen zu den extrahierten zwei Faktoren.
Zur Konstruktvalidierung der JAS wurde die Skala "Trait-Angst" aus dem State-Trait-Angst-Inventar (STAI; Laux, Glanzmann, Schaffner & Spielberger, 1981) eingesetzt, welche die generelle Ängstlichkeit der Testpersonen abbildet. JAS-Mittelwert und STAI-Trait-Skala korrelierten in der Gesamtstichprobe zu r = .69; bei Orthopädiepatienten (r = .68) fiel der Zusammenhang etwas enger aus als in der Stichprobe von Psychosomatikpatienten (r = .59). Zur kriterienbezogenen Validität ergaben sich signifikante Korrelationen der JAS mit der bisherigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit (Gesamtstichprobe: r = .29; Orthopädie: r = .31, Psychosomatik: r = .36), nicht jedoch mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Orthopädische Patienten wiesen zudem niedrigere Werte auf nahezu allen Subskalen auf als psychosomatische Patienten. Muschalla (2008, S. 141) fand darüber hinaus in einer Stichprobe stationärer
psychosomatischer Rehabilitationspatienten, dass Patienten, bei denen auf Grundlage eines klinischen Interviews eine Arbeitsplatzphobie diagnostiziert worden war (n = 39), höhere Werte auf der JAS aufwiesen als Patienten mit arbeitsbezogenen Ängsten, aber ohne Diagnose einer Arbeitsplatzphobie. Mit Blick auf die allgemeine psychosomatische Symptombelastung (gemessen mit der SCL-90R; Franke, 1995) unterschieden sich die beiden Patientengruppen hingegen nicht.
Normen: Normwerte liegen nicht vor. Vergleichswerte (Mittelwerte und Standardabweichungen der fünf Dimensionen und der Gesamtskala) können der Arbeit von Linden et al. (2008) entnommen werden; Muschalla et al. (2008) berichten ferner prozentuale Verteilungen der JAS-Subskalenwerte in den beiden Indikationsgruppen der orthopädischen und psychosomatischen Patienten.
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Literatur- Franke, G.H. (1995). SCL-90-R. Die Symptom-Checkliste von Derogatis - Deutsche Version. Weinheim: Beltz.
- Laux, L., Glanzmann, P., Schaffner, P. & Spielberger, C.D. (1981). Das State-Trait-Angstinventar. Weinheim: Beltz.
- Linden, M. & Muschalla, B. (2007a). Anxiety disorders and workplace-related anxieties. Journal of Anxiety Disorders, 21, 467-474.
- Linden, M. & Muschalla, B. (2007b). Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Der Nervenarzt, 78, 39-44. (DOI: 10.1007/s00115-006-2196-6)
- Linden, M. & Muschalla, B. (2012). Job-Angst-Skala (JAS). Ein Selbstbeurteilungs-Fragebogen zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste. In Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) (Hrsg.), Elektronisches Testarchiv. Trier: ZPID. Online im Internet, URL:
https://www.testarchiv.eu (Stand: 1.05.2018).
- Linden, M., Muschalla, B. & Olbrich, D. (2008). Die Job-Angst-Skala (JAS). Ein Fragebogen zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 52 (3), 126-134.
- Muschalla, B. (2005). Arbeitsplatzängste und Arbeitsplatzphobie. Konstruktion des Fragebogens "Job-Angst-Skala" zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste und seine Erprobung bei Patienten in der psychosomatischen Rehabilitation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Freie Universität Berlin.
- Muschalla, B. (2008). Workplace-related anxieties and workplace phobia: a concept of domain-specific mental disorders. Digitale Dissertation, Universität Potsdam, Humanwissenschaftliche Fakultät, Institut für Psychologie.
- Muschalla, B. & Linden, M. (2008). Die Arbeitsplatzphobieskala. Ein Screening-Instrument für die medizinische
Rehabilitation. Ärztliche Psychotherapie, 3, 258-262.
- Muschalla, B., Olbrich, D. & Linden, M. (2008). Der Arbeitsplatz als Quelle von Angst - Die Ausprägung und Qualität von Job-Ängsten bei Patienten in der psychosomatischen und orthopädischen Rehabilitation. Psychosomatik und Konsiliarpsychiatrie, 2, 83-90.
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